NACHRUF
von Mag. Albert Ruetz, Emser AlmanachLothar Märk – In Memorian
Einen „Unentwegten Altacher Künstler“ hat ihn Albert Graf Bourquin einmal genannt.
Am 05. September 2014 fand anlässlich seines 80. Geburtstags eine große Ausstellung unter dem Motto „zeitlos“ statt. Und bei diesem Anlass meinte Lothar Märk: „Ich bin noch nicht fertig. … Ich muss wieder neu anfangen, wie schon oft, auch mit 80!“
Doch dazu kommt es nicht mehr. Seine Kraft ist verbraucht, der Tod seiner Frau Wally raubt ihm letztlich den Willen zum Neuanfang.
Am 21. April 2015 beendet der Unentwegte seinen Lebensweg. Was bleibt, ist jene, seine Bild gewordene Welt, die ihn als den ausweist, der immer wieder sich aufgemacht hat, mit neuen Fragen, neuen Versuchen, neuem Blick auf die Natur, die Landschaft, die unterschiedlichsten Lebensräume des Menschen, um sie darzustellen, ihr Wesen zu erfassen. Was er erfährt und immer wieder auch deutlich macht, ist das Phänomen der Veränderung – Veränderung an und in sich, Veränderung der Dinge und der sichtbaren Welt allgemein, aber eben auch Veränderung der Gedanken über die Dinge und die Welt.
In vielen Gesprächen habe ich den wortkargen, immer aber nachdenklich fragenden Beobachter kennengelernt, der sich selbst einmal so charakterisierte: „Ich fühle mich manchmal wie Don Quijote, undTräume sind vielleicht wirklicher als die Wirklichkeit.“
Doch zurück zu den Anfängen des Künstlers Lothar Märk. Er wurde am1. September 1934 in Hohenems als zweites von drei Kindern geboren. Der Vater war Handwerker, Dachdecker, die Mutter stammte aus einer Bauernfamilie. Lothar besuchte, wie seine Geschwister, die Schulen von Hohenems; die Möglichkeit, eine weiterführende Schule zu besuchen, gab es nicht. Niemand, auch Lothar selbst nicht, dachte an eine künstlerische Laufbahn. „Ich habe zwar schon als Kind gezeichnet und gemalt. Es war jedoch nie mein Ziel, die Laufbahn eines Künstlers anzustreben. …. Maler bin ich geworden, weil ich schon immer gerne gemalt habe, ohne Kalkül.“ (Märk)
Diese Vorliebe führt ihn in den Beruf des Malerhandwerks. Nach der Berufsausbildung und der Gesellenzeit folgt die praktische Arbeit in Liechtenstein und in Vorarlberg.1956 baut er sich in Altach mitten im freien Feld ein Haus, das 1959 fertig wird. Im selben Jahr heiratet er die aus Lans in Südtirol stammende Waltraud Pircher. Der Ehe entstammen zwei Töchter, Juliane und Eva. Alles scheint für die Zukunft geregelt zu sein: Familie, Haus, Beruf.
Doch er will mehr. Dem Handwerksberuf versucht er nun auch das Künstlerische anzufügen. Er packt im Jahr 1961seine Frau, Zelt, Spannrahmen und Leinwand auf sein Motorrad und fährt nach Spanien, um dort als Künstler zu leben. Doch nach schönen, wenn auch kargen Wochen erkennt er, dass ohne Ausbildung und Absicherung im Alltag auch das Leben eines Bohemien nicht so ganz nach Wunsch und Vorstellung funktioniert. Er schreibt sich schließlich in der Meisterschule Baden ein, wo er 1963 die Meisterprüfung mit Auszeichnung macht. Dies bedeutete für ihn, wieder zu lernen; zeichnen zu lernen, figurative Malerei zu lernen, Radierung zu lernen, sich allgemein mit künstlerischen Techniken auseinanderzusetzen. Der Grundstein für sein Interesse an künstlerischem Tun ist gelegt. Er bleibt zwar bei seinem Brotberuf, jedoch beginnt daneben eine wichtige künstlerische Ausbildungsphase und auch seine eigentliche Laufbahn als Künstler.
1968 wagt er sich mit einer ersten Ausstellung an die Öffentlichkeit mit einer Serie von Aquarellen und einigen Ölbildern. Zum ersten Mal beginnt ihn auch die Öffentlichkeit wahrzunehmen, die den Autodidakten nicht unbedingt honorierte. Dies lag sicher auch an Märk selbst, der, wie er sagte, für sich und seine Arbeit wenig Publicity machte. „Vielleicht wäre Manches etwas anders geworden, hätte ich mehr darauf geachtet.“ (Märk)
1984, zu seinem 50er, erscheint ein kleiner Katalog, der seine Bild- und Ideenwelt verdeutlicht: In Randnotizen und Schlagwort ähnlichen Bemerkungen spricht er vom „Wahrnehmen des Schönen“ und ist sich offenbar nicht der Gefahr des Schönen in der Kunst bewusst, der Gefahr des Beruhigenden, des Belanglosen, des lieblich Absichernden. Märk schuf damals Landschaftsbilder am Alten Rhein, im Dornbirner Ried, von Städten und Dörfern im Lande, vom Bodensee; aber auch von Landschaften, die er auf ersten Reisen kennenlernte. Seiner Ausbildung entsprechend sind sie stark grafisch bestimmt, erfassen aber mit wenigen Strichen oder Pinselschlägen das Wesentliche. Sie sind dokumentierend und berichtend, machen den Wunsch des Künstlers deutlich, dem Beschauer das Erfahrene, Gesehene, Erlebte nachvollziehbar zu machen, verständlich aufzubereiten. Diese frühen Bilder bleiben dem Gegenstand verhaftet, ja leben durch ihn. Doch Märk dient sich dem Betrachter dabei nicht an, er will ihm vielmehr dienlich sein.
In einer Kritik zu seiner ersten Ausstellung hieß es: „Lothar Märk steht am Anfang seines Künstlerweges. Sein Werk ist heute schon sehenswert und bleibt vielversprechend, wenn der Künstler weiter ringt, denn wirkliche Kunst ist immer Auseinandersetzung.“ (Heinrich Klotz im Vorarlberger Volksblatt Nov. 1968)
Die Motive seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit seiner unmittelbaren Umgebung, seiner Lebenswelt, der Kumma-Region, dem See, dem Rhein, bleiben bestimmend für sein ganzes künstlerisches Werk.
Mag am Anfang noch ein berichtender Naturalismus im Vordergrund gestanden haben, so wird dennoch bald sichtbar, dass sein Weg ihn zu größerer und intensiverer Farbigkeit führt, zu einer zunehmenden Reduktion und Abstraktion. Nicht sichtbare Verständlichkeit oder gar Gefälligkeit sind gesucht, sondern das Eintauchen in ein Motiv. Die Ausdrucksformen werden freier, expressiver; immer mehr tritt die Welt der Vorstellung an die Stelle der Darstellung. Die Bilder verdichten sich zu Dialogen mit der Natur, mit der Stadtlandschaft. Der Mensch tritt nur vereinzelt auf. Zumeist bleibt er nur spürbar in den von ihm gestalteten Strukturen der Landschaft, der Architektur.
Wichtig für Märks Arbeiten sind seine Reisen – Italien, Frankreich, Spanien, die Toskana, der Berg Athos. Die Erlebnisse und Erfahrungen dieser Landschaften führen zu einer Umwandlung, Verwandlung seiner Darstellung. „Das Vitale, Spontane, Emotionale feiert seinen Sieg“ (Gerhard Wanner)
Märk war also immer unterwegs, ging vorwärts unentwegt, immer bemüht, Fortschritte zu machen, fort zu schreiten vom Gelernten, Gewussten zum Gefühlten. Er war immer bereit, gesicherte Positionen zu verlassen, um, auf dem schwankenden Boden des Ungewissen, Neues zu lernen. Sicherlich, manchmal mag ihm das ungestüme Fortschreiten von Stilen und Richtungen im großen Kunstbetrieb weit voraus geeilt sein, aber er ließ sich nicht treiben, dem nachzueilen.
Immer wieder hat er Formen und Richtungen für sich versucht, gewonnen und verworfen. Immer aber war es ihm wichtig, er selbst zu bleiben, mit der Bereitschaft dessen, der aus Einsicht sich wandelt, alte Wege verlässt und Neuland betritt – ohne Sicherheiten und Garantien, aber bereit, das Wagnis einzugehen. Seine Auseinandersetzung mit seiner unmittelbaren Lebenswelt, seine Reisen zu den großen europäischen Landschaften (Andalusien, Jakobsweg, Provence, Toskana, Estremadura, Athosklöster) mögen ihm einen Teil dieser Freiheit vermittelt haben. Entscheidend war jedoch sicher der Wandel der inneren Einstellung zu den Dingen und den Menschen. Er selbst war sich dessen bewusst. „Der künstlerische Weg ist lang und ich habe viel Zeit für Dinge gebraucht, die mir für das Leben wichtig waren. Aber ich denke auch lange über die Dinge nach, die ich mache. Ich mache mir nur wenig Skizzen zu meiner Arbeit, aber umso mehr Gedanken“, hat er einmal geäußert. Damit wird auch deutlich, dass über dieses Nachdenken über die Dinge sich seine Sichtweise über sie änderte. Das Vitale, das Emotionale, der Ausdruck in seinen Bildern sind nicht mehr an einen Gegenstand gebunden; es genügt, mit wenigen Farbflächen z. B. die Assoziation der Rheinmündung heraufzubeschwören und damit dem Betrachter die Möglichkeit zu geben, diese Landschaft im Dialog mit der eigenen Seelenlandschaft für sich zu gewinnen mit allen nur möglichen Emotionen und Denkfeldern.
Etwas ist für sein gesamtes Werk wichtig: Seinem Motiv, der Landschaft, bleibt er treu. Verändert hat sich mit der Zeit der Umgang mit ihm. Die Erzählung, die immer noch da ist, hat eine neue Ausdrucksweise gefunden. Da ist nicht mehr das sprudelnde Bächlein mit knorriger Weide im letzten Frühlingsschnee nötig, um den Ursprung des Flusses, des Rheins, im Gebirge deutlich zu machen. Die Kühle der Farbklänge, die Flächenstrukturen weisen daraufhin; Sie geben aber auch Raum für freie Interpretation, sind offen für vielschichtige Lesbarkeit. Die Bilder Märks sind selbständig geworden, sie können im Zyklus ebenso bestehen wie als Einzelbilder. Jedes Bild ist im Stande, einen eigenen Kontext zu kreieren, seinen eigenen Kosmos zu verdeutlichen. Dass dies so ist, bestätigt Ariane Grabher in den VN vom 05. September 2014, wenn sie Märk zitiert: „ 'Man muss frei sein zum Malen, sagt Märk“ und meint, er lebe diese Freiheit in den jüngsten Arbeiten aus.“
Damit hat Märk in seiner Malerei eine neue Wirklichkeit erreicht: Jene, die nicht berichtend nachzeichnet, sondern die über Form und Farbe wirkt und eben aus dieser Wirkung heraus wirklich ist. Märk hat sich damit der Ausdruckskraft der Farbe, der Linienstruktur und abstrakten Raumgebilden zugewandt, um eine, seine innere Sicht der Dinge malerisch zu demonstrieren.
Märks erlernter Handwerksberuf war der des Malers und grafischen Gestalters und diesen Beruf hat er bis zu seinem Tode auch ausgeübt- neben seiner umfangreichen künstlerischen Tätigkeit. Vieles davon – heute verstanden als Kunst am Bau – ist im Land noch erhalten. Er hat sich zu diesen Arbeiten in der Öffentlichkeit auch immer bekannt. Manche sind entfernt worden, sind einem kurzsichtigen Modernismus zum Opfer gefallen. Jedoch, so sagte Märk einmal, sei das Moderne nicht seine Sache, denn modern habe auch mit Zeitgeist und Mode zu tun und dieses Zwillingspaar sei etwas, was heute ist und morgen war. Und genau das war es nicht, was er wollte. Er wollte etwas schaffen, was gestern seinen Ursprung hatte, sich erneuert in der Gegenwart zeigt und morgen noch gültig sein wird.
Betrachtet man sein Lebenswerk, in einigen Katalogen festgehalten und dokumentiert, wird man gewahr, wie sehr es geprägt ist von Veränderung, jenem Thema, das ihn sein ganzes Leben lang beschäftigte, das er zeichnend, radierend und malend immer wieder beschrieb , und zwar so schlüssig, dass auch die Albertina auf seine Radierungen aufmerksam wurde und vier seiner Radierungen ankaufte, als Ankäufe aufgrund gespannter Budgetsituation kaum möglich schienen.
In einem Interview mit Eva Jakob 1999 sagt er zu seiner Kunst: „Mich interessiert nicht die Wiederholung, sondern die Idee und die Veränderung … , die Umsetzung mittels der bildenden Kunst. Technik und Farbmaterialien sind nur Hilfsmittel, um das Etwas auszudrücken.“ (Bodenseehefte 9, 1999, Seite 297).
Die Bilder Lothar Märks sind immer den Fragen nach Urkräften des Lebens, nach Wandel und Veränderung, nach Werden, Wachsen und Vergehen geschuldet. Welche Motive könnten dafür besser geeignet sein als „Das Weib“ als die Urkraft des Entstehens und Werdens oder „Der Fluss“, der verändert, wandelt, zerstört und auch neu bildet, ausgedrückt besonders in den Rheinbildern, die im Laufe von Jahrzehnten entstanden sind.
Zeit seines Lebens war Märk mit Hohenems, seiner Heimatstadt, verbunden und immer wieder hat er sich mit ihr künstlerisch, vor allen Dingen in der Technik der Radierung, auseinandergesetzt. Ihre Menschen, ihre Geschichte, ihre typischen Örtlichkeiten wie Schlossberg und Schlossplatz hat er in unterschiedlichsten Bildmotiven umgesetzt. Dabei sind seine malerischen Geschichtsbetrachtungen nicht von der üblichen Ansicht bestimmt, Geschichte sei ein enger Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Für ihn ist Geschichte ein oft unentwirrbares Knäuel von Ideen und Ereignissen. Für ihn ist es ein Versuch, jene Kräfte in Farbe und Form zu bringen, aus denen die Geschichte der Stadt geworden ist. Sein gemaltes Geschichtsbild von Hohenems folgt keinem logischen oder gar chronologischen Ablauf, schildert nicht Einzelereignisse, hebt auch keine Persönlichkeiten hervor, denn all dies ist für ihn nur Teil eines Ganzen, jedoch nie abgeschlossen oder unabänderlich. Für ihn bestand seine Heimatstadt aus einer unerschöpflichen Vielfalt von Menschen, Orten und Ereignissen und immer neuen Möglichkeiten der Veränderung im Strom der Zeiten. Diesen Motiven ging er immer nach und schuf damit wertvolle zeitgeschichtliche Dokumente.
Als ich an dem Buch „Lothar Märk – Eine Wegbeschreibung“ (zum 7o. Geburtstag 2004) arbeitete, gab er mir ein eng beschriebenes Blatt Papier in die Hand, überschrieben mit „Gedanken“. Einer dieser ihm wichtigen Gedanken, der sein gesamtes Kunstschaffen bestimmte, sei hier stellvertretend wiedergegeben: „Meine Malerei oder Grafik sind kein mehr oder weniger abstrakter Versuch, die Welt mit Form und Farbe zu verstehen, sondern sie sind eine erfahrene, erarbeitete, logische Entwicklung eines Verständnisses für meine Welt über Jahrzehnte!“ (Märk)
Der „Unentwegte Altacher Künstler“ ist gegangen. Seine Werke werden bleiben.
Mag. Albert Ruetz
Am 05. September 2014 fand anlässlich seines 80. Geburtstags eine große Ausstellung unter dem Motto „zeitlos“ statt. Und bei diesem Anlass meinte Lothar Märk: „Ich bin noch nicht fertig. … Ich muss wieder neu anfangen, wie schon oft, auch mit 80!“
Doch dazu kommt es nicht mehr. Seine Kraft ist verbraucht, der Tod seiner Frau Wally raubt ihm letztlich den Willen zum Neuanfang.
Am 21. April 2015 beendet der Unentwegte seinen Lebensweg. Was bleibt, ist jene, seine Bild gewordene Welt, die ihn als den ausweist, der immer wieder sich aufgemacht hat, mit neuen Fragen, neuen Versuchen, neuem Blick auf die Natur, die Landschaft, die unterschiedlichsten Lebensräume des Menschen, um sie darzustellen, ihr Wesen zu erfassen. Was er erfährt und immer wieder auch deutlich macht, ist das Phänomen der Veränderung – Veränderung an und in sich, Veränderung der Dinge und der sichtbaren Welt allgemein, aber eben auch Veränderung der Gedanken über die Dinge und die Welt.
In vielen Gesprächen habe ich den wortkargen, immer aber nachdenklich fragenden Beobachter kennengelernt, der sich selbst einmal so charakterisierte: „Ich fühle mich manchmal wie Don Quijote, undTräume sind vielleicht wirklicher als die Wirklichkeit.“
Doch zurück zu den Anfängen des Künstlers Lothar Märk. Er wurde am1. September 1934 in Hohenems als zweites von drei Kindern geboren. Der Vater war Handwerker, Dachdecker, die Mutter stammte aus einer Bauernfamilie. Lothar besuchte, wie seine Geschwister, die Schulen von Hohenems; die Möglichkeit, eine weiterführende Schule zu besuchen, gab es nicht. Niemand, auch Lothar selbst nicht, dachte an eine künstlerische Laufbahn. „Ich habe zwar schon als Kind gezeichnet und gemalt. Es war jedoch nie mein Ziel, die Laufbahn eines Künstlers anzustreben. …. Maler bin ich geworden, weil ich schon immer gerne gemalt habe, ohne Kalkül.“ (Märk)
Diese Vorliebe führt ihn in den Beruf des Malerhandwerks. Nach der Berufsausbildung und der Gesellenzeit folgt die praktische Arbeit in Liechtenstein und in Vorarlberg.1956 baut er sich in Altach mitten im freien Feld ein Haus, das 1959 fertig wird. Im selben Jahr heiratet er die aus Lans in Südtirol stammende Waltraud Pircher. Der Ehe entstammen zwei Töchter, Juliane und Eva. Alles scheint für die Zukunft geregelt zu sein: Familie, Haus, Beruf.
Doch er will mehr. Dem Handwerksberuf versucht er nun auch das Künstlerische anzufügen. Er packt im Jahr 1961seine Frau, Zelt, Spannrahmen und Leinwand auf sein Motorrad und fährt nach Spanien, um dort als Künstler zu leben. Doch nach schönen, wenn auch kargen Wochen erkennt er, dass ohne Ausbildung und Absicherung im Alltag auch das Leben eines Bohemien nicht so ganz nach Wunsch und Vorstellung funktioniert. Er schreibt sich schließlich in der Meisterschule Baden ein, wo er 1963 die Meisterprüfung mit Auszeichnung macht. Dies bedeutete für ihn, wieder zu lernen; zeichnen zu lernen, figurative Malerei zu lernen, Radierung zu lernen, sich allgemein mit künstlerischen Techniken auseinanderzusetzen. Der Grundstein für sein Interesse an künstlerischem Tun ist gelegt. Er bleibt zwar bei seinem Brotberuf, jedoch beginnt daneben eine wichtige künstlerische Ausbildungsphase und auch seine eigentliche Laufbahn als Künstler.
1968 wagt er sich mit einer ersten Ausstellung an die Öffentlichkeit mit einer Serie von Aquarellen und einigen Ölbildern. Zum ersten Mal beginnt ihn auch die Öffentlichkeit wahrzunehmen, die den Autodidakten nicht unbedingt honorierte. Dies lag sicher auch an Märk selbst, der, wie er sagte, für sich und seine Arbeit wenig Publicity machte. „Vielleicht wäre Manches etwas anders geworden, hätte ich mehr darauf geachtet.“ (Märk)
1984, zu seinem 50er, erscheint ein kleiner Katalog, der seine Bild- und Ideenwelt verdeutlicht: In Randnotizen und Schlagwort ähnlichen Bemerkungen spricht er vom „Wahrnehmen des Schönen“ und ist sich offenbar nicht der Gefahr des Schönen in der Kunst bewusst, der Gefahr des Beruhigenden, des Belanglosen, des lieblich Absichernden. Märk schuf damals Landschaftsbilder am Alten Rhein, im Dornbirner Ried, von Städten und Dörfern im Lande, vom Bodensee; aber auch von Landschaften, die er auf ersten Reisen kennenlernte. Seiner Ausbildung entsprechend sind sie stark grafisch bestimmt, erfassen aber mit wenigen Strichen oder Pinselschlägen das Wesentliche. Sie sind dokumentierend und berichtend, machen den Wunsch des Künstlers deutlich, dem Beschauer das Erfahrene, Gesehene, Erlebte nachvollziehbar zu machen, verständlich aufzubereiten. Diese frühen Bilder bleiben dem Gegenstand verhaftet, ja leben durch ihn. Doch Märk dient sich dem Betrachter dabei nicht an, er will ihm vielmehr dienlich sein.
In einer Kritik zu seiner ersten Ausstellung hieß es: „Lothar Märk steht am Anfang seines Künstlerweges. Sein Werk ist heute schon sehenswert und bleibt vielversprechend, wenn der Künstler weiter ringt, denn wirkliche Kunst ist immer Auseinandersetzung.“ (Heinrich Klotz im Vorarlberger Volksblatt Nov. 1968)
Die Motive seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit seiner unmittelbaren Umgebung, seiner Lebenswelt, der Kumma-Region, dem See, dem Rhein, bleiben bestimmend für sein ganzes künstlerisches Werk.
Mag am Anfang noch ein berichtender Naturalismus im Vordergrund gestanden haben, so wird dennoch bald sichtbar, dass sein Weg ihn zu größerer und intensiverer Farbigkeit führt, zu einer zunehmenden Reduktion und Abstraktion. Nicht sichtbare Verständlichkeit oder gar Gefälligkeit sind gesucht, sondern das Eintauchen in ein Motiv. Die Ausdrucksformen werden freier, expressiver; immer mehr tritt die Welt der Vorstellung an die Stelle der Darstellung. Die Bilder verdichten sich zu Dialogen mit der Natur, mit der Stadtlandschaft. Der Mensch tritt nur vereinzelt auf. Zumeist bleibt er nur spürbar in den von ihm gestalteten Strukturen der Landschaft, der Architektur.
Wichtig für Märks Arbeiten sind seine Reisen – Italien, Frankreich, Spanien, die Toskana, der Berg Athos. Die Erlebnisse und Erfahrungen dieser Landschaften führen zu einer Umwandlung, Verwandlung seiner Darstellung. „Das Vitale, Spontane, Emotionale feiert seinen Sieg“ (Gerhard Wanner)
Märk war also immer unterwegs, ging vorwärts unentwegt, immer bemüht, Fortschritte zu machen, fort zu schreiten vom Gelernten, Gewussten zum Gefühlten. Er war immer bereit, gesicherte Positionen zu verlassen, um, auf dem schwankenden Boden des Ungewissen, Neues zu lernen. Sicherlich, manchmal mag ihm das ungestüme Fortschreiten von Stilen und Richtungen im großen Kunstbetrieb weit voraus geeilt sein, aber er ließ sich nicht treiben, dem nachzueilen.
Immer wieder hat er Formen und Richtungen für sich versucht, gewonnen und verworfen. Immer aber war es ihm wichtig, er selbst zu bleiben, mit der Bereitschaft dessen, der aus Einsicht sich wandelt, alte Wege verlässt und Neuland betritt – ohne Sicherheiten und Garantien, aber bereit, das Wagnis einzugehen. Seine Auseinandersetzung mit seiner unmittelbaren Lebenswelt, seine Reisen zu den großen europäischen Landschaften (Andalusien, Jakobsweg, Provence, Toskana, Estremadura, Athosklöster) mögen ihm einen Teil dieser Freiheit vermittelt haben. Entscheidend war jedoch sicher der Wandel der inneren Einstellung zu den Dingen und den Menschen. Er selbst war sich dessen bewusst. „Der künstlerische Weg ist lang und ich habe viel Zeit für Dinge gebraucht, die mir für das Leben wichtig waren. Aber ich denke auch lange über die Dinge nach, die ich mache. Ich mache mir nur wenig Skizzen zu meiner Arbeit, aber umso mehr Gedanken“, hat er einmal geäußert. Damit wird auch deutlich, dass über dieses Nachdenken über die Dinge sich seine Sichtweise über sie änderte. Das Vitale, das Emotionale, der Ausdruck in seinen Bildern sind nicht mehr an einen Gegenstand gebunden; es genügt, mit wenigen Farbflächen z. B. die Assoziation der Rheinmündung heraufzubeschwören und damit dem Betrachter die Möglichkeit zu geben, diese Landschaft im Dialog mit der eigenen Seelenlandschaft für sich zu gewinnen mit allen nur möglichen Emotionen und Denkfeldern.
Etwas ist für sein gesamtes Werk wichtig: Seinem Motiv, der Landschaft, bleibt er treu. Verändert hat sich mit der Zeit der Umgang mit ihm. Die Erzählung, die immer noch da ist, hat eine neue Ausdrucksweise gefunden. Da ist nicht mehr das sprudelnde Bächlein mit knorriger Weide im letzten Frühlingsschnee nötig, um den Ursprung des Flusses, des Rheins, im Gebirge deutlich zu machen. Die Kühle der Farbklänge, die Flächenstrukturen weisen daraufhin; Sie geben aber auch Raum für freie Interpretation, sind offen für vielschichtige Lesbarkeit. Die Bilder Märks sind selbständig geworden, sie können im Zyklus ebenso bestehen wie als Einzelbilder. Jedes Bild ist im Stande, einen eigenen Kontext zu kreieren, seinen eigenen Kosmos zu verdeutlichen. Dass dies so ist, bestätigt Ariane Grabher in den VN vom 05. September 2014, wenn sie Märk zitiert: „ 'Man muss frei sein zum Malen, sagt Märk“ und meint, er lebe diese Freiheit in den jüngsten Arbeiten aus.“
Damit hat Märk in seiner Malerei eine neue Wirklichkeit erreicht: Jene, die nicht berichtend nachzeichnet, sondern die über Form und Farbe wirkt und eben aus dieser Wirkung heraus wirklich ist. Märk hat sich damit der Ausdruckskraft der Farbe, der Linienstruktur und abstrakten Raumgebilden zugewandt, um eine, seine innere Sicht der Dinge malerisch zu demonstrieren.
Märks erlernter Handwerksberuf war der des Malers und grafischen Gestalters und diesen Beruf hat er bis zu seinem Tode auch ausgeübt- neben seiner umfangreichen künstlerischen Tätigkeit. Vieles davon – heute verstanden als Kunst am Bau – ist im Land noch erhalten. Er hat sich zu diesen Arbeiten in der Öffentlichkeit auch immer bekannt. Manche sind entfernt worden, sind einem kurzsichtigen Modernismus zum Opfer gefallen. Jedoch, so sagte Märk einmal, sei das Moderne nicht seine Sache, denn modern habe auch mit Zeitgeist und Mode zu tun und dieses Zwillingspaar sei etwas, was heute ist und morgen war. Und genau das war es nicht, was er wollte. Er wollte etwas schaffen, was gestern seinen Ursprung hatte, sich erneuert in der Gegenwart zeigt und morgen noch gültig sein wird.
Betrachtet man sein Lebenswerk, in einigen Katalogen festgehalten und dokumentiert, wird man gewahr, wie sehr es geprägt ist von Veränderung, jenem Thema, das ihn sein ganzes Leben lang beschäftigte, das er zeichnend, radierend und malend immer wieder beschrieb , und zwar so schlüssig, dass auch die Albertina auf seine Radierungen aufmerksam wurde und vier seiner Radierungen ankaufte, als Ankäufe aufgrund gespannter Budgetsituation kaum möglich schienen.
In einem Interview mit Eva Jakob 1999 sagt er zu seiner Kunst: „Mich interessiert nicht die Wiederholung, sondern die Idee und die Veränderung … , die Umsetzung mittels der bildenden Kunst. Technik und Farbmaterialien sind nur Hilfsmittel, um das Etwas auszudrücken.“ (Bodenseehefte 9, 1999, Seite 297).
Die Bilder Lothar Märks sind immer den Fragen nach Urkräften des Lebens, nach Wandel und Veränderung, nach Werden, Wachsen und Vergehen geschuldet. Welche Motive könnten dafür besser geeignet sein als „Das Weib“ als die Urkraft des Entstehens und Werdens oder „Der Fluss“, der verändert, wandelt, zerstört und auch neu bildet, ausgedrückt besonders in den Rheinbildern, die im Laufe von Jahrzehnten entstanden sind.
Zeit seines Lebens war Märk mit Hohenems, seiner Heimatstadt, verbunden und immer wieder hat er sich mit ihr künstlerisch, vor allen Dingen in der Technik der Radierung, auseinandergesetzt. Ihre Menschen, ihre Geschichte, ihre typischen Örtlichkeiten wie Schlossberg und Schlossplatz hat er in unterschiedlichsten Bildmotiven umgesetzt. Dabei sind seine malerischen Geschichtsbetrachtungen nicht von der üblichen Ansicht bestimmt, Geschichte sei ein enger Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Für ihn ist Geschichte ein oft unentwirrbares Knäuel von Ideen und Ereignissen. Für ihn ist es ein Versuch, jene Kräfte in Farbe und Form zu bringen, aus denen die Geschichte der Stadt geworden ist. Sein gemaltes Geschichtsbild von Hohenems folgt keinem logischen oder gar chronologischen Ablauf, schildert nicht Einzelereignisse, hebt auch keine Persönlichkeiten hervor, denn all dies ist für ihn nur Teil eines Ganzen, jedoch nie abgeschlossen oder unabänderlich. Für ihn bestand seine Heimatstadt aus einer unerschöpflichen Vielfalt von Menschen, Orten und Ereignissen und immer neuen Möglichkeiten der Veränderung im Strom der Zeiten. Diesen Motiven ging er immer nach und schuf damit wertvolle zeitgeschichtliche Dokumente.
Als ich an dem Buch „Lothar Märk – Eine Wegbeschreibung“ (zum 7o. Geburtstag 2004) arbeitete, gab er mir ein eng beschriebenes Blatt Papier in die Hand, überschrieben mit „Gedanken“. Einer dieser ihm wichtigen Gedanken, der sein gesamtes Kunstschaffen bestimmte, sei hier stellvertretend wiedergegeben: „Meine Malerei oder Grafik sind kein mehr oder weniger abstrakter Versuch, die Welt mit Form und Farbe zu verstehen, sondern sie sind eine erfahrene, erarbeitete, logische Entwicklung eines Verständnisses für meine Welt über Jahrzehnte!“ (Märk)
Der „Unentwegte Altacher Künstler“ ist gegangen. Seine Werke werden bleiben.
Mag. Albert Ruetz